KRENE (2021)

Franz Schubert und die elektroakustische Musik von heute. Wie passt das zusammen?

Im Herbst 2020 regte Oliver Wille, der Intendant des Kammermusikfestivals Sommerliche Musiktage Hitzacker an, dieser Frage einmal in einer Komposition nachzugehen.

Entstanden ist als Auftragswerk eine neue elektroakustische Arbeit für das Festivalprogramm "Schubert.Jetzt" des Jahres 2021 mit dem Titel KRENE. Das heißt so viel wie Quelle oder Brunnen.

Und die Quelle meiner Beobachtung, meiner Annäherung an Schuberts Werk ist seine letzte Klaviersonate in B-Dur, Deutsch-Verzeichnis 960. Doch womit setze ich mich auseinander? Die große zeitliche Distanz zu Schuberts Sonate von fast 200 Jahren ist mir sehr präsent und diese erscheint fern, unscharf wie flimmerndes Licht an einem heißen Tag.

Und was ist eigentlich das Werk? Ist es der Notentext als eine Verfahrensvorschrift zu Realisierung des Klanges und damit ein Angebot, das interpretiert, ausgelegt werden kann? Sind es die zahllosen Einspielungen, welche die Unterschiedlichkeit dieser Auslegungen belegen und in denen diese Sonate ein Mal knapp 40 Minuten, ein anderes Mal eine Stunde dauert? Ist es schließlich der Klang des Klaviers selbst, der Klang einer gespannten, angeschlagenen Saite?

Über Franz Schuberts Werk wurde einmal gesagt, es sei "weniger eine Verarbeitung thematischer Gebilde als eine Geschichte von klanglichen Vorgängen, von Klangprozessen, wo einer aus dem andern hervorgeht."

Hier gibt es eine starke Verbindung zu heutigem kompositorischen Denken in der elektroakustischen Musik. An den „klanglichen Vorgängen“ kann ich ansetzen, die komponierte Veränderung von Klang über die Grenzen der Farbe des Instruments oder der Spieltechnik des Interpreten hinaus interessiert mich. Den historischen Abstand zum Original will und kann ich nicht einebnen, vielmehr nähere ich mich Schuberts Sonate unter zwei ihr eingeschriebenen Perspektiven: Zum einen richte ich meinen Blick auf Schuberts ganz eigene Umgangsweise mit der Sonatenform, auf immer wieder überraschende Brüche und Abweichungen innerhalb der formalen Proportionen. Zum anderen nähere ich mich mit den Mitteln des elektronischen Studios den Klangspektren in der metallischen Farbe des Klavierklangs.

Klänge bewegen sich dabei auf individuellen Bewegungsbahnen durch offene und weite aber auch enge akustische Räume. Sie treten so zueinander in Beziehung und klangliche Gesten und Texturen werden als komponierte räumliche Kontrapunkte hörbar. Diese Gestaltung der raumbezogenen Klangbewegungen in KRENE ist realisiert in einem besonderen Raumklang-Verfahren für acht Lautsprecher.

All dies geschieht sowohl in einem Prozess der Annäherung als auch in einem gegenläufigen Prozess der Entfernung und Abstraktion. Denn dieser Prozess besteht nicht in der bloßen Wiedergabe des Bekannten, der bloßen Reproduktion eines Motivs in seinem zeitlichen Verlauf. Er besteht in größter Abstraktion auch im Anhalten des Zeitverlaufs an einem bestimmten Punkt und in der Verlängerung dieses kürzesten Punktes in den hörbaren Bereich hinein wie mit einer Klanglupe. Er besteht im Fortschreiten dieses Weges in andere Richtungen und der Rückkehr zum schon Gehörten – Schuberts Sonate scharf und klar im Fokus und doch uneinholbar fern.

Spatialisierung: Ambisonic, 8-Kanal, 21:47

 


KRENE (2021) - Ausschnitt